Nach langem Überlegen will ich doch einmal darüber schreiben, wie es in mir aussieht seitdem ich im Juni 2020 einen Schlaganfall hatte. Man unterscheidet hier immer zwischen einem leichten, den man TIA nennt (transistorisch ischämische Attacke und einem schweren, bei dem die Lähmungen zum Teil bleiben, und die eine Reha notwendig machen. Ich gehörte zu den „Glücklichen“ mit einem TIA, denn es blieb nichts zurück.
Ausser dem Wissen jetzt wie vulnerabel wir Menschen doch eigentlich sind.
Wo ich vorher „nur“ am Jammern war, weil ich nichts mehr fand, was mich wenigstens einigermassen interessiert hätte, und mein Leben zwischen immer wieder auftauchenden Panikattacken und Depressionen hin und her pendelte, fand ich nach der Spitalsentlassung doch noch etwas, was mich irgendwie anzog, und mir ein Ziel vor Augen setzte, diese Lebensweise die die Kabbalah lehrte für mich zu entdecken.
Wo ich zwar bereits 2018 vieles darüber las, war es kein wirkliches Lernenwollen, sondern lediglich eine Art Information, die ich darüber sammelte. Doch jetzt wollte ich es lernen, um es auch für mich anzuwenden und diese Versprechung der Kabbalisten für mich zu erhaschen, die sich so ausdrückt:
„Kabbalah ist der Schlüssel zur verborgenen Weisheit. Indem der Mensch seinen wahren Zweck im Leben erkennt erreicht er Perfektion, Frieden, unbegrenzte Freude und die Fähigkeit, Zeit und Raum zu transzendieren, während er noch in dieser Welt lebt“.
Dieser Schlüssel, so sagen die Kabbalisten ist die Annulierung des Egos, indem man alles was man tut mit der Absicht „nicht für mich“ krönt.
Jesus drückte es anders aus, indem er sagte: “ Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst „
Und so verbrachte ich die letzten 20 Monate damit, alle meine Aktionen und Reaktionen, an die ich mich aus den vergangenen 69 Jahren erinnern konnte zu durchleuchten, und zu überlegen, was ich jeweils hätte anders machen können, wenn ich diesen Leitsatz in meinem Kopf und in meinem Herzen gehabt hätte.
Und ebenso kritisch beobachtete ich jetzt meine Gedanken, mein Reden und mein Handeln.
Das Resultat fiel absolut vernichtend für mich aus. Nicht nur rückblickend sondern ebenso gegenwärtig. Denn nichts, absolut nichts war und ist mir möglich, ohne mich selbst in absolutem Vordergrund zu sehen.
Und würde ich es „gewaltsam“ ändern, dann käme es nicht vom Herzen, und hätte vermutlich sogar Aggressionen zur Folge, die so ein Vorhaben soundso sofort zunichte machten.
Aber nicht nur, dass ich an meinem Ziel kläglich gescheitert war, habe ich jetzt Bilder vor Augen von Aktionen aus meiner Kindheit, meiner Jugend und all den vielen Jahren, in denen ich niemals danach fragte, wie es meinen Mitmenschen ging. Mich niemals fragte, was meine Handlungen in den Herzen anderer ausgelöst haben. Mich niemals fragte, was sich die Menschen, die in meinem Leben eine Rolle spielten, sich von mir erwartet hätten.
Und diese Bilder, die ich vermutlich nie mehr los werde, machen mir das Leben zur Hölle. Es vergeht kein Tag wo ich nicht immer wieder in Tränen ausbreche und alle meine jemals getroffenen Entscheidungen infrage stelle, und mich frage, wie es denn dazu kommen konnte, dass ich mich zu so einem egozentrischen Monster entwickelt hatte, das nur das eigene Wohl im Sinn hatte.
Nur manchesmal, wenn ich Glück habe, ertönt da eine leise Stimme in mir die mir sagt: „du wusstest es nicht besser, denn da war keiner, der es dir vorgelebt hätte“.

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