Ich war schon rund 20 Minuten früher in der Ordination, wo ich heute meinen dritten Stich (Booster) bekam, und die Schwester bat mich im Vorgarten noch ein bisschen zu warten. Da stand eine Holzbank und eine grosse Linde, die vor der Sonne ein wenig Schutz bot, wo ich mich niedersetzte. Sofort fiel mir auf, dass ganz in der Nähe eine Amsel sitzt, denn ihr Gezwitscher war nicht zu überhören.
Und doch erinnere ich mich, dass ich bis zu meinem Schlaganfall in 2020 nur meine innere Stimme hörte. Die Stimme, die mir unaufhörlich erzählte, was ich alles noch brauche oder zumindest unbedingt haben möchte, und mich damit permanent unter Druck setzte.
Dass ich irgendwo in Ruhe auf einer Bank sass, und dem Gezwitscher der Vögel zuhörte, ist in meiner Erinnerung nicht zu finden, denn die Wünsche meines Ego hatten alles übertönt.
Als ich dann erfolgreich zurück zum Auto ging, erinnerte ich mich, dass ich den zweiten Stich am 9. Dezember 2021 hatte, und alle Gehsteige voll mit Schnee waren, oder hohe Schneehaufen am Strassenrand lagen. Und ich blieb stehen und schaute mir diese unglaubliche Pracht von blühenden Bäumen an, die in allen Gärten, an denen ich vorbei ging, blüten.
Und irgendwie war ich plötzlich richtiggehend überwältigt von den so unterschiedlichen Schönheiten, die diese Welt zu bieten hat.
Denn ich erinnere mich daran, dass ich an diesem 9. Dezember auch die verschneiten Strassen ganz bewusst zur Kenntnis nahm, und mich an meine Kindheit erinnerte, in der Schnee zwischen November und Februar selbverständlich war.
Ich weiss längst, dass es so ist, doch habe noch keine befriedigende Antwort darauf, wieso Erinnerungen an die Unbeschwertheit meiner Kindheit, immer so schmerzhaft sind? Es ist nur die Vermutung, dass meine Kindheit (bis 15) die einzige Zeit war, in der ich mich ehrlich über alles freuen konnte.
Und bis zum heutigen Tag habe ich keine Antwort auf meine Frage: „was war geschehen, dass ich mich mit knapp 16 Jahren, nach dem Austritt vom Gymnasium, völlig in mich zurück gezogen hatte?“ Ich hatte alle Freundschaften abgebrochen und ebenso den regelmässigen Kontakt mit meinen Eltern (ich lebte seit meinem 9.Lebensjahr bei meiner Grossmutter).
Ich erinnere mich, dass ich stundenlang in der Stadt herumlief und etwas suchte; konnte nur nicht erklären, was genau es war. Das einzige was ich wusste war, dass wenn ich es finde, es niemals mehr loslassen würde.
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